Dolmetschen in der Asylrechtsberatung, Teil II

Teil I des Artikels finden Sie hier.

Die Ehefrau kann sich nicht an die Anzahl der Entführer erinnern. Dann ist ihre Aussage unglaubwürdig und ihre Chancen auf Asyl verringern sich. Die Ehefrau könnte sich auf eine Zahl festlegen, aber dann muss sie bei dieser Zahl bleiben. Ich als Dolmetscherin dolmetsche das, diese Absurdität. Ich muss ernst bleiben, muss als Sprachrohr fungieren, darf mich nicht über das System aufregen. Doch wie kann man das dolmetschen, wenn sowohl der Berater als auch die Klientin von diesem System nichts halten? Und ich selbst eingeschlossen? Ich dolmetsche das Gespräch so neutral wie möglich, dolmetsche die Kommentare und Ratschläge des Rechtsberaters, die Sorgen der Klientin und behalte meine Meinung für mich. Ich versuche meine Mimik unter Kontrolle zu halten, aber ich will auch nicht zu kalt wirken, schließlich ist die Organisation für Rechtsberatung eine politische Organisation, die sich ganz klar für die Menschenrechte, für die Verteidigung des Rechts auf Asyl einsetzt. Hinter diesen Werten stehe ich, ich gebe dem Rechtsberater recht in seinen Kommentaren, ich stehe, genau wie die Organisation auch, „parteiisch auf der Seite der Flüchtlinge“. Und trotzdem bin ich eben nur das Sprachrohr, das seine eigene Meinung nicht kundtun sollte.

In vielen Gesprächen wollte ich den KlientInnen aktiv helfen, wollte ihnen Mut zusprechen, tröstete sie und wollte dem ungerechten System die Schuld an ihrer Situation geben. Doch darf ich das als Dolmetscherin? Wenn ich ihnen Mut zuspreche, ihre Situation juristisch aber aussichtslos ist, mache ich ihnen dann nicht falsche Hoffnungen? Was darf ich als Dolmetscherin und was darf ich als Mensch? Wann lege ich meine Rolle als Dolmetscherin ab und trete als mitfühlender Mitmensch auf? Wenn ich für einen Moment mit den KlientInnen alleine im Raum bin und sie mich etwas fragen, darf ich dann meine Meinung sagen?

Ich habe auf diese Fragen nach langen Überlegungen und vielen Diskussionen mit KollegInnen eine Antwort gefunden, die ich mit meinen Überzeugungen in Einklang bringen kann. Doch die Antworten mögen für jeden Dolmetscher/jede Dolmetscherin anders klingen. Nur eine „richtige“ Antwort gibt es hier wohl nicht. Jeder Dolmetscher/jede Dolmetscherin sollte sich aber bewusst sein, dass Asyl ein Menschenrecht ist (Artikel 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte) und wir DolmetscherInnen unsere KlientInnen soweit unterstützen sollten, dass sie von diesem Recht Gebrauch machen können. Wie weit die Unterstützung geht, muss jeder Dolmetscher/jede Dolmetscherin mit sich selbst ausmachen. Über etwaige Konsequenzen sollte er/sie sich bewusst sein.

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